Frankfurt ist lebenswerter – aber die soziale Spaltung hat zugenommen
Claus-Jürgen Göpfert geht in Ruhestand / Oberbürgermeister Feldmann interviewt FR-Urgestein zu Geheimnissen, Engtanzen, Politik und Journalisten
Hut, Bart – und immer einen gelben Klebezettel zur Hand: So kennen die Frankfurter Claus-Jürgen Göpfert. 35 Jahre lang berichtete er für die „Frankfurter Rundschau“ über das politische Geschehen in der Mainmetropole. Am 11. November hatte die Reporter-Legende seinen letzten Arbeitstag. Zum Abschied lud Oberbürgermeister Peter Feldmann „Göpfi“ in sein Dienstzimmer – zum Gespräch mit verteilten Rollen. Denn diesmal stellte ausnahmsweise das Stadtoberhaupt die Fragen.
Oberbürgermeister Peter Feldmann: Wie fühlt sich das Rentnerleben so an?
Claus-Jürgen Göpfert: „Im Moment ist es tatsächlich eher anstrengend.
Als Reaktion auf meinen ‚Ruhestand‘ gibt es viele Mails, Briefe und Anrufe.
Darüber freue ich mich natürlich. Leute haben mich sogar auf der Straße
angesprochen und mir einen Blumenstrauß in die Hand gedrückt. Das ist schön,
aber auch ein bisschen schräg und unerwartet.“
Feldmann: Was machen Sie
jetzt mit der ganzen freien Zeit?
Göpfert: „Welche freie Zeit? Aber das
ist ja das Problem aller ‚Ruheständler‘. Ich denke, ich werde weiter das eine
oder andere für die Rundschau schreiben. Schön wäre es, meine Porträt-Reihe
‚Göpferts Runde‘ weiterzuführen. Außerdem interessieren mich natürlich auch
weiterhin politisch-historische und kulturelle Themen.“
Feldmann: Fällt
Ihnen das Loslassen schwer?
Göpfert: „Das wird sich noch zeigen. Aber es
trifft mich ja nicht unvorbereitet. Ich habe schon länger gearbeitet, als ich es
ursprünglich geplant hatte. Aber 2018 war die Rundschau erneut verkauft worden.
Und viele Kolleginnen und Kollegen haben damals gesagt, ich solle noch bleiben,
gerade wegen meiner Arbeit im Betriebsrat. Für mich war es der fünfte Besitzer
in 35 Rundschau-Jahren. Ich hatte also eine gewisse Erfahrung.“
Feldmann:
Droht Post-It jetzt die Pleite, wenn Sie als der beste Kunde keine gelben
Klebezettelchen mehr brauchen?
Göpfert (lacht): „Kann natürlich sein,
dass der Umsatz insgesamt zurückgeht. Ich weiß nicht, ob die Firma darauf
vorbereitet ist. Aber es wird noch einige Gelegenheiten geben, bei denen ich die
Klebezettel brauche.“
„Mit meiner Freundin habe ich mal einen Engtanz-Wettbewerb gewonnen“
Feldmann: Als Journalist waren Sie immer an Geheimnissen aus dem
Römer interessiert. Erzählen Sie doch mal etwas über sich, was keiner weiß.
Göpfert: „Eine knifflige Frage! Woran ich mich gerne erinnere und was
nicht viele wissen: Mit meiner Freundin habe ich mal einen Engtanz-Wettbewerb
gewonnen. Wir waren da nur aus Spaß hingegangen und hatten uns am Ende des
Abends tatsächlich den Titel ertanzt.“
Feldmann: Bitte vervollständigen:
Die Frankfurter Rundschau ist ohne mich…
Göpfert: „…eine gute und
wichtige Zeitung, die politisch gebraucht wird. Da bin ich zuversichtlich. Es
gibt eine tolle junge FR-Generation, auf die ich sehr stolz bin. Wie ich in
meiner Abschiedsrede in der FR gesagt habe: Der Spirit ist immer noch da, wenn
auch die äußeren Umstände andere sind als im Jahre 1985. Als ich damals zur
Rundschau kam, war das ein Unternehmen mit 1700 Mitarbeitern. Heute sind es noch
etwas über 100 festangestellte Kolleginnen und Kollegen. Damals umfasste die
Rundschau ein kleines eigenes Quartier am Eschenheimer Turm, mit Schlosserei,
Schreinerei, Fahrbereitschaft. Natürlich sind durch die technische Entwicklung
ganze Berufe beim Zeitungsmachen verschwunden. Als ich zum ersten Mal in den
Betriebsrat gewählt wurde, war ich dort als Journalist noch ein Exot zwischen
Metteuren und Druckern. Ein Redakteur als Mitglied bei der IG Druck und Papier
war ungewöhnlich.“
„Habe fotografiert, was das Zeug hält“
Feldmann: Würden Sie heute noch einmal Journalist werden wollen?
Göpfert: „In jedem Fall. Auch wenn die Arbeitsbedingungen für junge
Kolleginnen und Kollegen heute schwierig sind. Aber Journalist war tatsächlich
mein Traumberuf, schon auf dem Gymnasium. Ich habe gezielt darauf hingearbeitet.
Ich begann in Frankfurt zu studieren und wechselte dann 1976 an die Kölner
Universität. Gleichzeitig habe ich die neue Journalistenschule in Köln besucht,
eine linke Gegengründung von Gewerkschaften und Kirchen zur konservativen
Münchener Journalistenschule. Ich hätte noch zwei Jahre länger studieren können,
aber ich musste Geld verdienen. 1980 ging ich zurück ins Rhein-Main-Gebiet. Ich
wollte und sollte bei der Mainzer Allgemeinen Zeitung anfangen, alles schien
klar. Doch dann gab es plötzlich Ärger mit meinem Arbeitsvertrag. Der Verleger
wollte nicht unterschreiben. Ich hatte im Bewerbungsgespräch auf die Frage, mit
welchem lebenden Politiker ich mich identifizieren würde, den Namen von Willy
Brandt genannt. Ich begann dann am 1. Januar 1980 bei der Frankfurter Neuen
Presse. Nach wenigen Wochen kam der stellvertretende Chefredakteur zu mir und
fragte: Kennen Sie eigentlich Königstein und Kronberg? Ich hatte die Orte als
Kind mit meinen Eltern besucht, also sagte ich: Ja. Seine Antwort: Prima, denn
am Montag fangen Sie dort an. Diese Zeit war eine gute Schule für mich. Ich
hatte meist jeden Tag bis zu zwei Seiten zu füllen, musste lernen, schnell zu
arbeiten. Und ich habe fotografiert, was das Zeug hält. Bilder brauchen nämlich
viel Platz.“
Feldmann: Journalisten sind die besseren Politiker – wahr
oder falsch?
Göpfert: „Nein, so habe ich mich nie verstanden. Politiker
und Journalisten haben in der Gesellschaft unterschiedliche Rollen. Ich halte es
mit dem legendären Kollegen Hanns-Joachim Friedrichs: ‚Überall dabei sein, aber
nirgendwo dazu gehören.‘ Ich war ganz bewusst nie Mitglied in einer Partei.
Unabhängigkeit war mir stets wichtig.“
Feldmann: Mit wem würden Sie gerne
mal einen Römer-Brief schreiben?
Göpfert: „Das kann ich spontan nicht
sagen. Die Zusammenarbeit bei den Römer-Briefen war etwas ganz Besonderes.
Allein mit meinem Kollegen Georg Leppert sind ja mehr als 400 Texte entstanden.
Das war eine großartige Zeit. Begonnen hatte ich die Reihe mit meiner Kollegin
Jutta Ochs, der ich ebenfalls sehr danke. Es ist nicht selbstverständlich, dass
die Zusammenarbeit in unserem Beruf so gut funktioniert. Viele Journalisten sind
eher Einzelkämpfer.“
„Der Hauptfriedhof ist ein unglaublich vielfältiger kultureller Ort“
Feldmann: Ihr Lieblingsort in Frankfurt?
Göpfert: „Der
Hauptfriedhof. Hört sich vielleicht ungewöhnlich an. Aber ich fotografiere gerne
und beschäftige mich seit Jahren mit der Kultur und Architektur von Friedhöfen,
auch in anderen Städten, wie etwa Berlin. Der Hauptfriedhof in Frankfurt ist ein
unglaublich vielfältiger kultureller Ort, auf dem ich bei meinen Gängen mit der
Kamera immer noch Neues entdecke.“
Feldmann: Wenn Sie zurückblicken: Wo
lag die Stadt Frankfurt falsch?
Göpfert: „Eine Fehlentwicklung, die ich
stets kritisiert habe, sind die Hochhäuser nahe des Eschenheimer Turms. Die sind
dort städtebaulich fehl am Platz, sie sprengen den Maßstab der Innenstadt. Auch
das Projekt ‚Four‘ auf den ehemaligen Grundstücken der Deutschen Bank sehe ich
kritisch, besonders aus ökologischen Gründen. Die Verdichtung ist dort extrem.
Als Problem sehe ich überdies die ‚Luxus-Inseln‘ an, die in Frankfurt entstehen.
Etwa auf dem früheren Areal des AfE-Turms: ehemals ein Ort der Revolte, heute
sehr teure Eigentumswohnungen. Welch eine Ironie. Wenn ich auf die
zurückliegenden vier Jahrzehnte blicke, so ist Frankfurt insgesamt lebenswerter
geworden. Aber die soziale Spaltung in der Stadt hat leider zugenommen. Der
soziale Gedanke hat es schwer. Das lässt sich bei der aktuellen Corona-Pandemie
ablesen. Etliche Menschen sehen offenbar nicht ein, im Interesse aller für eine
bestimmte Zeit sinnvollen Regeln zu folgen.“
Feldmann: …und wo lag die
Stadt richtig?
Göpfert: „Heute sage ich: Es war richtig, auf prägende
Gebäude zu setzen, mit denen Menschen sich identifizieren können. Als der
Oberbürgermeister Walter Wallmann in den 80er Jahren diese Strategie verfolgt
hat, habe ich das damals kritisiert. Etwa bei der Alten Oper. Allerdings sehe
ich die neue Altstadt nach wie vor kritisch. Sie ist die Inszenierung eines
Traums. Sie sagt also etwas über die emotionalen Defizite des Bürgertums. Mit
der historischen Wirklichkeit hat diese nachgebaute Altstadt nichts zu tun. Die
Altstadt war eher ein ungeliebtes Viertel, sie war eng, dunkel, mit schlechten
hygienischen Verhältnissen. Man ging dort vielleicht hin, um ein Bier zu trinken
oder eine Wurst zu essen. Aber man blieb nicht länger als notwendig.“