Ein Musiker berichtet, wie Corona sein Leben veränderte
Schlagzeuger Max Brüderl: „Eigentlich hätte ich im Juni auf Tour gehen wollen“
Eigentlich sollte für Max Brüderl
im November 2019 ein neuer Lebensabschnitt beginnen. Denn der studierte
Jazzmusiker und Instrumentalpädagoge wollte sich nach sechsjährigem
Studienaufenthalt in Osnabrück und Dresden in seiner Wahlheimat Frankfurt als
Musiker und Schlagzeuglehrer etablieren und dabei an alte Kontakte und
bestehende Netzwerke anknüpfen. Doch ein Jahr später führt der gebürtige
Stuttgarter gewissermaßen ein Leben im Wartestand.
„Ich habe mich gut in Frankfurt
eingelebt. Hier habe ich mich schon von 2010 bis 2013 sehr wohl gefühlt. Aber
gerade als es mit dem Unterricht der ersten Schüler losging, wurde ich im Februar
direkt ausgebremst. Die Musikschulen hatten einen Anmeldestopp und Konzerte
fanden auch nicht mehr statt“, erinnert sich Brüderl an den ersten Lockdown im
Frühjahr. Zwar habe er seinen Schlagzeugunterricht online fortgeführt. „Für
geübte Schüler ist das zur Überbrückung schon okay, auch für Fortgeschrittene
sicher eine gute Ergänzung. Aber für Anfänger und Kinder ist dieses Format
äußerst schwierig, weil sich die räumliche Trennung schwer kompensieren lässt“,
lautet das Fazit des 32-jährigen Jazzdrummers.
Aus dem einsamen Frühjahr wurde ein
langer Sommer ohne Auftritte und mit wenig Unterricht. Brüderl profitierte in
dieser Zeit davon, dass er von Haus aus ein sehr sparsam und nachhaltig
lebender Mensch ist. Auch der Ausdauersport, seine zweite große Leidenschaft
neben der Musik, half dem passionierten Marathonläufer – privat wie beruflich: „Wenn
ich beruflich nur auf eine Karte setzen würde, wäre meine Situation weitaus
prekärer“, erklärt der 32-Jährige, der nebenher als Aushilfe in einem Laufshop
sowie als Produktexperte für eine Laufschuhmarke jobbt. „Insofern war das schon
positiv, dass ich von vornherein vier verschiedene Standbeine habe“.
Dennoch: „Während des ersten
Lockdowns hatte ich zunächst schlimme Existenzängste. All meine Pläne, hier wieder
Fuß zu fassen, waren über Nacht durchkreuzt“, sagt Brüderl. Doch relativ
schnell habe sich eine gewisse Gelassenheit eingestellt, „weil mir bewusst wurde,
dass die Maßnahmen zeitlich begrenzt sind und ich nicht alleine mit dieser
Situation konfrontiert bin“. Diese Erkenntnis half Brüderl, der neuen
Lebenswirklichkeit auch positive Aspekte abzugewinnen. „Mir hat als Mensch die
Ruhe sehr gut getan – ich habe mir eine neue Routine durch Meditation, Sport
und tägliches Üben geschaffen“, erzählt der Musiker. Dieser strikte Tagesablauf
habe ihm geholfen, sich auf die wesentlichen Dinge zu besinnen und die Produktion
seines Debut-Albums voranzutreiben.
Gefördert vom städtischen
Kulturamt und einer privaten Crowdfunding-Kampagne ist der Musiker täglich in
seinen Proberaum in Griesheim gefahren und hat nebenher mit befreundeten
Musikern die Songs für sein Album eingespielt. „Eigentlich hätte ich im Juni
auf Tour gehen wollen, um mich zunächst mit der Band einzuspielen. Stattdessen
habe ich mich mit den einzelnen Musikern im Studio getroffen und die Lieder
nacheinander eingespielt“, sagt der Drummer.
Die städtische Förderung
bezeichnet Brüderl als gute Maßnahme: „Auch wenn es nur 1000 Euro waren,
so war das eine sehr direkte und
unbürokratische Hilfe.“ Andere Förderverfahren, die im Zuge der Coronapandemie
aufgelegt wurden, hätten den Nachteil, dass Solo-Selbständige oder Kreative „nicht
oder unzureichend berücksichtigt“ würden.
Bestärkt von den Erfahrungen, die
er im Frühjahr und Sommer machte, reagiert Max Brüderl mit großem Verständnis
auf die erneuten Einschränkungen und den bevorstehenden Corona-Winter. „Die Realität
ist, dass wir Jazzmusiker ohnehin zu guten Teilen vom Unterricht leben und
diesen fortsetzen können“, sagt er. Bei vielen privaten Gesprächen sei er auf
eine breite Akzeptanz der beschlossenen Maßnahmen gestoßen. So herrsche weniger
Wut oder Ärger vor, sondern eher Bedrücktheit: „Wenn man seinen Beruf nicht
ausüben kann und absolute Ungewissheit herrscht, wann es wieder weitergeht,
führt das zwangsläufig zu Frust. Kunst und Kultur sind an ein Publikum
adressiert und nicht für einen selbst gemacht“, fasst der Musiker zusammen. Ihm
selbst fehle vor allem der Raum für persönlichen Begegnungen nach einem
Konzert. Das zähle für ihn zu den schönsten Aspekten seines Berufs.
Bis Max Brüderl wieder vor
Publikum auf der Bühne steht, wird es wohl noch einige Monate dauern. Bis dahin
stellt er sich anderen Herausforderungen: Erst am vorigen Wochenende ist er 55
Kilometer quer durch Frankfurt gejoggt, um in 5,5 Stunden alle 24 Mainbrücken
zu überqueren. Sport und innere Einkehr sind sein Rezept, um trotz aller
Belastungen einen kühlen Kopf zu bewahren.
Was ihn umso mehr ärgere, seien
jene Leute, die im Sommer „ihr Ding“ gemacht, in Urlaub gefahren seien und groß
gefeiert hätten. Dieses Verhalten habe zwar nicht zwangsläufig zur jetzigen
Situation geführt. „Ich beobachte aber, dass Menschen, die sich wie ich über
Jahre bewusst in Verzicht üben, von Natur aus eher vorsichtig agieren. Jene,
die von der Pandemie wirtschaftlich weniger stark betroffen sind, sind in
meiner Wahrnehmung oft diejenigen, die sich stärker über die jetzigen Maßnahmen
beklagen und diese nicht befolgen“, moniert Brüderl und stellt abschließend
fest: „Diese Pandemie hat sich keiner von uns ausgesucht – wir alle zahlen aber
den Preis, der umso höher ist, je weniger sich an die Regeln halten.“
Text: Mirco Overländer