"Alles ist wie eingefroren – ein verlorenes Jahr für die Kunst"
Der Künstler, Fotograf und Autor Markus Elsner spricht über die Auswirkungen der Pandemie, den Abschied von seiner Mutter und über seine Zuversicht
Die
Corona-Pandemie und die daraus resultierenden Einschränkungen haben verheerende
Folgen für die Kunst- und Kulturschaffende in Frankfurt. Gerade freischaffende
Künstler und kleine Kultureinrichtungen kämpfen ums Überleben. Der
freischaffende Frankfurter Künstler und Fotograf Markus Elsner berichtet im
Interview über seine momentane berufliche Situation, den Tod seiner Mutter in
der Isolation und wirft einen Blick in die Zukunft.
Der 62-Jährige kam vor gut 40 Jahren über sein Zeitungsvolontariat zur
Fotografie und blieb dabei, auch nach seinem Studium der Kunstgeschichte,
Geschichte und Politologe an der Universität Bonn. Seit 1993 lebt Elsner in
Frankfurt und hat seine Werke bei zahlreichen Ausstellungen präsentiert. Sein
bevorzugtes Arbeitsmedium ist seit Jahren Polaroid: Seit 2011 koordiniert der künstlerische
Fotograf und Autor mit einer Vorliebe fürs Analoge die Öffentlichkeitsarbeit
für den Künstlerweihnachtsmarkt des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK).
Herr
Elsner, Sie arbeiten seit Jahrzehnten als selbstständiger Fotograf. Wie hat
sich Ihre berufliche Situation wegen beziehungsweise mit dem Ausbruch der
Corona-Pandemie verändert?
Markus
Elsner: Die Einschränkungen wegen der Pandemie haben mein Leben dramatisch und
drastisch verändert – so wie das Leben vieler meiner freischaffenden
Kolleginnen und Kollegen, die professionell arbeiten. Ausstellungen und
Vernissagen wurden abgesagt, der Publikumsverkehr ist ausgefallen – für uns ist
es ein verlorenes Jahr. Ausstellungen ohne Vernissagen bringen so gut wie
nichts, denn für Künstler sind der direkte Kontakt und Austausch mit den
Besuchern, Kunstliebhabern und Kaufinteressenten sehr wichtig. Lassen Sie mich
ein Beispiel nennen: Ende Oktober sollte die RodgauArt stattfinden – ein
Wochenende mit Vernissage, Kunstmarkt und Führungen. Das Ganze wurde dann
zunächst auf eine reine Ausstellung reduziert ohne Vernissage, ohne die
Anwesenheit der Künstler, dann ganz gecancelt. Ebenso vier Ausstellungen oder
deren Vernissagen und Finissagen im Frankfurter Raum. Insgesamt waren es dieses
Jahr rund acht Ausstellungen und Veranstaltungen, bei denen ich meine Werke
präsentieren wollte, die dann abgesagt wurden. Bereits im März/April habe ich
meine Planungen gedrosselt und weniger Ausstellungen geplant als sonst. Für
September 2021 ist eine Ausstellung beim Kunstverein Artlantis in Bad Homburg
geplant, hoffentlich findet sie statt. Ich sollte auch die Pressearbeit für
einige Künstlerkollegen, Galerien und Kunstvereine machen – gecancelt. Ein
Frankfurter Musiker wollte für sein zweites Album ein Polaroid-Werk von mir
nehmen, der Release liegt nun auf Eis. Wir alle freischaffenden Künstler –
seien es Schauspieler, Tänzer, Musiker, Bildende Künstler – wir a! lle befi
nden uns in der gleichen Situation, die wenig Beachtung findet.
Sie nehmen jedes an dem
Künstlermarkt des Berufsverbandes Bildender Künstler (BBK) in den Römerhallen
teil. Wegen der Pandemie sind nun der Weihnachtsmarkt und der Künstlermarkt
abgesagt. Was bedeutet das für Sie sowohl finanziell als auch künstlerisch?
Elsner:
Beides hängt zusammen. Der Künstlermarkt hätte diesmal im 98. Jahr
stattgefunden – 1922 war der erste Markt. Ich bin seit zehn Jahren dabei und
habe dort eine wachsende Schar an Interessenten, Kunstliebhabern und Käufern.
Über 50 Künstler des BBK stellen bei dem Markt aus und tausende Besucher kommen
jedes Jahr in die Römerhallen. Und jetzt? Keine Neukunden, Zufallsbegegnungen
und auch keine gezielten Treffen zwischen Künstlern und Kunden. Oft mache ich
dort Termine und Aufträge fest. Er ist eine Kunstausstellung und eine Messe
zugleich. Das kann einen Einnahmeverlust in vielleicht fünfstelliger Höhe
bedeuten – und damit bin ich nicht alleine. Viele Kollegen haben in dieser Zeit
zum Beispiel für ein paar schlecht laufende Monate im Sommer mit dem Kunstmarkt
den Verdienst ausgeglichen. Alternative Online-Angebote können diesen Verlust
nicht ausgleichen. Der BBK bietet als kleinen Ersatz jetzt einen Online-Katalog
mit Werken von 70 Künstlern, das ist gut, um gesehen zu werden, aber es führt
selten zu Käufen.
Ihre berufliche Existenz ist auf
Ihre Tätigkeit als Fotograf aufgebaut. Wie halten Sie sich momentan finanziell
über Wasser?
Elsner:
Ich habe vor dem ersten Lockdown über eine ehemalige Kollegin eine Tätigkeit
als Redakteur im Online-Portal der Evangelischen Kirche aufgenommen – ich habe
ja früher auch als Journalist gearbeitet. Zweimal die Woche arbeite ich für
dieses Portal. Seit dem ersten Lockdown ist das meine Rettung. Eigentlich war
das Geld für die Finanzierung neuer Kunst-Produktionen eingeplant und nun
brauche ich es zum Überleben. Dieser Nebenjob als Journalist ist mein Glück im
Unglücksjahr. Aber es gibt viele andere Künstler, die nicht so einen
Rettungsanker gefunden haben, um zu überleben. Wir sind durch die Maschen des
Corona-Hilfsnetzes gefallen und haben kaum Fördergelder bekommen. Ich habe
dieses Jahr 2000 Euro vom Land erhalten. Für uns solo-selbstständige Künstler
hat die Politik kein Rezept. Als erstes wird an Kunst und Kultur gespart.
Trotz all der Widrigkeiten und
Einschränkungen, die Sie persönlich und beruflich wie viele andere Ihrer
Kolleginnen und Kollegen erdulden, wie stehen Sie zu all den Maßnahmen, um die
Pandemie einzudämmen und zu überstehen?
Elsner:
Grundsätzlich stehe ich zu den Maßnahmen. Für Wissenschaftler, Politik und für
uns Bürger ist das ein großer Lernprozess. Es ist ein Probieren, weil diese
Situation und das Virus noch nie dagewesen ist. Die Situation erfordert
Pragmatismus, es ist ein „Try and Error“-Prinzip. Für den ganzen Kultur-Bereich
sind aber andere Lösungen nötig – es gibt ja kluge Vorschläge aus der Kultur.
Trotz allem müssen einschneidende Corona-Beschränkungen sein. Die
Infektionszahlen müssen runter, ehe wir anfangen, um Intensivbetten zu kämpfen.
Es hilft nicht, Probleme zu ignorieren. Wir haben in Deutschland ein System,
das noch funktioniert. Ich habe für die 20 bis 30 Prozent der Gesellschaft kein
Verständnis, die die Maßnahmen aus Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit oder
Eigennutz nicht beachten – vor allem nicht für diejenigen, die nur aus
Opposition zum Staat die Gesundheit und Freiheit der anderen gefährden, das ist
grobfahrlässig und schädigend. Darunter leidet die gesamte Bevölkerung, die nun
scharfe Maßnahmen ertragen muss.
Auch persönlich waren die
vergangenen Monate schwer für Sie. Sie haben sich sehr lange um Ihre Mutter
gekümmert. Nun ist sie im Sommer weitgehend abgeschottet verstorben. Können Sie
uns berichten, wie das für Sie war?
Elsner:
Es war eine sehr schwere Zeit. Vor Corona war meine Mutter auf meine ständige
Unterstützung im Pflegeheim angewiesen. Sie litt unter Demenz und baute
körperlich ab. Seit dem Tod meines Vater 2013 war ich als Bevollmächtigter der
Lebensmanager meiner Mutter. Vier Jahre lang lebte sie noch in Würde daheim in
Bad Tölz. Vieles habe ich telefonisch geregelt und Hilfe vor Ort organisiert.
Ich bin oft zu ihr gefahren. Doch nach vier Jahren habe ich sie nach Frankfurt
in ein Pflegeheim geholt. Für das Wohlbefinden meiner Mutter war ich oft vor
Ort. Sie wusste auch immer, wer ich bin, und erkannte mich bis zum Schluss.
Dann kam der erste Lockdown und das alles fiel weg. Ich habe viel mit der
Pflegeheim-Leitung kommunizieren müssen. Ich durfte meine Mutter nur einmal in
der Woche sehen – ich auf dem Parkplatz und sie in einem zugigen Flur am
Fenster. Sie hat das nicht verstanden. Ich konnte mich nicht gut um sie
kümmern, weil ich nicht eindeutig mitbekam, wie es ihr tatsächlich ging. War
sie dehydriert? Fehlte ihr etwas? Ich konnte sie nicht einmal in den Arm
nehmen. Im Mai und Juni hätten die Pflegeheime mehr auf die Bedürfnisse der
Bewohner eingehen müssen. In der Einrichtung, in der meine Mutter war, hatte
jedes Zimmer einen Balkon oder eine Terrasse – da hätte man auch die Besuche
der Angehörigen machen können. Ich durfte aber erst spät dorthin. Dann folgten
schwere Stürze und eine Hautkrebs-Diagnose und ihr Gebiss war unauffindbar
verschwunden. Das hatte ein Ernährungsproblem zur Folge. Sie baute stark ab. Nach
mühevollen ! Zahnarzt -Terminen wurde dann endlich ihr Gebiss fertig. Sie starb
aber in der Nacht auf den Tag, an dem sie ihr neues Gebiss bekommen sollte. Ein
Herzinfarkt. In dieser Nacht war ich bei ihr und begleitete sie auf der
Intensivstation, doch sie war nicht mehr bei Bewusstsein.
Wie haben Sie sich gefühlt?
Elsner:
Das war sehr bitter! Die letzten vier Monate ihres Lebens war sie allein und
hilflos. Manchmal denke ich: Sie hat im letzten Moment den Ausstieg gefunden –
denn bettlägerig und abgeschottet in diesen Zeiten wäre schlimm gewesen.
Dennoch sage ich: Das darf die Politik nicht noch einmal machen. Für März und
April musste es vielleicht sein, aber später hätte es nicht sein müssen, die
alten Menschen so zu isolieren. Klügere Lösungen wären da angebracht gewesen.
Wie haben Sie Kraft geschöpft?
Elsner:
Das ist eine gute Frage. Man funktioniert einfach, man schaltet ins
Funktionsprogramm. Das Verheerende ist, dass man weiß, es läuft nicht rund mit
der Pflege, man wird aber nicht zugelassen, um es besser zu machen. In dieser
Zeit war ich auch sehr angespannt, ich habe Pläne gemacht und Vorschläge
eingebracht, um meiner Mutter und dem Heim helfen zu können. Die Isolation war
schwer auszuhalten. Es hat mich nicht zermürbt, denn ich habe mir nichts
vorzuwerfen, aber ich habe mir für meine Mutter einen würdevolleren Abschied
gewünscht. Wegen der erzwungenen Untätigkeit war es schwer, den Kopf frei zu
kriegen. Ich habe angefangen, mein Wohnatelier umzustrukturieren, und jetzt
während des zweiten Lockdowns werde ich es fertigstellen. Ich brauche eine
Aufgabe und eine Ablenkung in diesen Zeiten. Ich habe großen Respekt vor den
Menschen, die ihre Angehörigen zuhause pflegen.
Sind in der Zeit der beiden
Lockdowns und der Zeit des Verzichts neue Arbeiten entstanden?
Elsner:
Ich habe Ideen für neue Fotoreihen, etwa zum Thema Nachhaltigkeit. Wann und wo
die Ergebnisse zu sehen sein werden, das ist ungewiss. Ich erwarte für den
Spätsommer oder Herbst 2021 eine allmähliche Beruhigung der Lage; aber das wird
keine sofortige Rückkehr in die Normalität sein. Keiner wird in Ausstellungen
stürmen. In der Krisensituation haben Investitionen in die Kunst abgenommen.
Wir Künstler müssen durchhalten und auf bessere Zeiten hoffen. Momentan ist
alles stillgelegt – wie eingefroren.
Worauf freuen Sie sich am meisten,
wenn wir uns wieder der Normalität nähern?
Elsner:
Ich freue mich auf den Moment, wenn ich wieder meine Kunst dem Publikum zeigen
und Gespräche führen kann. Das fehlt mir. Ich bin kein Künstler, der nur vor
sich hinarbeitet ohne den Austausch mit dem Publikum. Für uns alle wird es aber
eine langsame Rückkehr in den Normalbetrieb werden. Meine größte Freude wird
sein, wenn meine geplante Ausstellung bei Artlantis im September 2021 auch
wirklich stattfinden kann und Menschen anzieht. Bis dahin müssen wir aber alle
vernünftig und zuversichtlich bleiben.
Weitere Informationen und Kontakt zu Markus Elsner sind unter http://katalog.bbk-frankfurt.de/portfolio/markus-elsner/ zu finden.
Der Online-Katalog des BBK findet ich unter http://katalog.bbk-frankfurt.de/# im Internet.
Interview: Pelin Abuzahra