„Der feierliche Moment hat von seinem Charakter verloren“
Standesbeamtin Katja Hartung über Trauungen und andere Aufgaben unter Corona-Bedingungen
Katja Hartung (45) arbeitet als Standesbeamtin. Ihr Tätigkeitsfeld
umfasst Eheschließungen, Geburten, Todesfälle und Namensänderungen. Vieles
davon lässt sich ohne persönliches Erscheinen der Bürger nicht erledigen. Ein
Gespräch darüber, weshalb das so ist und wie es dem Standesamt gelingt, trotz
Reduzierung der physischen Kontakte seine Dienstleistungen in vollem Umfang
anzubieten.
Frau Hartung, beschreiben Sie bitte kurz Ihre Arbeit.
HARTUNG: Als Vertretungsstandesbeamtin arbeite ich in
unterschiedlichen Bereichen, in denen ein Engpass herrscht. Das umfasst aktuell
das gesamte Tätigkeitsgebiet des Standesamtes mit Ausnahme von Einbürgerungen.
Als Standesamt beurkunden wir alle Aspekte des Lebens. Das heißt: Geburten,
Todesfälle, Ehen, Namensänderungen und unter Umständen auch den Erwerb der
deutschen Staatsbürgerschaft. Das geht natürlich nicht ohne bestimmte
Dokumente, die uns vorgelegt werden müssen. Ich mache es mal an einem Beispiel
deutlich: Wenn ein Paar heiraten will, geht es nicht nur um den feierlichen Akt
im Römer, Bolongaropalast oder den drei anderen kleineren Trauorten sondern wir
müssen vorher das Vorliegen der Ehevoraussetzungen prüfen. Oder wenn die Ehe
bei einem anderen Standesamt geschlossen werden soll und die Partner aus
Frankfurt kommen, müssen wir trotzdem die Voraussetzungen hier prüfen.
Und das geht nicht digital?
HARTUNG: Aktuell gibt es Ansätze, die
unterschiedlichen Prozesse zu digitalisieren. Das wird sicherlich auch bald
geschehen. Wir als Stadt können das jedoch nicht alleine machen, da vieles im
Personenstandsrecht bundesgesetzlich vorgegeben ist. Die Abläufe müssen
gemeinsamen Standards entsprechen, damit die Standesämter bundesweit und im
Bedarfsfall auch international zusammenarbeiten können. Diese digitalen
Verfahren entstehen gerade. Wir können aus auch anders ausdrücken: Die Pandemie
ist etwas zu früh gekommen.
Bei der Beratung zur Eheschließung hilft uns jetzt
sehr unser Online-Formular, das schon seit längerer Zeit im Einsatz ist. Auch
im Bereich der Urkundenbestellung arbeiten wir bereits seit 2018 online.
Was hat sich durch Corona an Ihren Abläufen geändert?
HARTUNG: Ein wichtiges Merkmal unserer Arbeit ist der
Zeitdruck. Es muss oft schnell gehen, da staatliche Leistungen von unserem
Handeln abhängen und es für die Betroffenen finanziell rasch eng werden kann.
Bei einer Geburt geht es etwa um Kindergeld und andere Unterstützungen. Aber es
ist nicht nur die finanzielle Seite betroffen. Eine Beisetzung ist nur möglich,
wenn wir die Sterbeurkunde oder ein Ersatzdokument ausgestellt haben. Soll der
Verstorbene im Ausland bestattet werden, ist ein Leichenpass nötig, den in
Frankfurt das Standesamt ausstellt. Daher war uns von Anfang an klar, dass es
irgendwie weitergehen muss und wir uns keine lange Pause zum Umorganisieren
gönnen können. Ich denke, wir haben einen guten Weg gefunden.
Die Bürger kommen jetzt nur noch zu uns, wenn sie
einen Termin haben. Unterlagen, die vorher persönlich abgegeben wurden - etwa
zu Geburten – kann man in einen beaufsichtigten Briefkasten einwerfen. Damit
haben die Bürger die Sicherheit, dass auch nichts verloren geht. Aber das
bedeutet auch einen Mehraufwand für uns, etwa wenn Fragen auftauchen. Wir
prüfen die Unterlagen und beraten, was noch erforderlich ist. Dann kommen die
Bürger, falls erforderlich, nach Terminabsprache zu uns, identifizieren sich
mit ihrem Ausweis und unterschreiben persönlich in unserem Beisein.
Welche Auswirkungen gibt es noch?
HARTUNG: Die sichtbarste Änderung gibt es bei der
Eheschließung. Zu Anfang der Pandemie konnten wir das nicht mehr in unseren
Trausälen durchführen, sondern sind dafür in unseren Kassenraum gegangen. Er
ist entsprechend groß und verfügt durch seine Glasscheiben über die nötigen
Trennvorrichtungen. Seit Mai können wir wieder die Trausäle nutzen, da auch
diese mit Trennscheiben zum Schutz ausgestattet wurden. Die Zahl der Gäste in
den Räumen ist begrenzt. Sie hängt davon ab, in welchem Stadium der Pandemie
wir sind und richtet sich nach den Vorgaben der hessischen Landesregierung.
Zwischenzeitlich durften daher teilweise zehn oder auch nur fünf Gäste das Paar
begleiten. Jetzt, im harten Lockdown, ist die Trauung auf die unbedingt
notwendigen Personen beschränkt. Immer dabei sind also das Paar, der
Standesbeamte und benötigte Dolmetscher. Minderjährige Kinder aus den
Hausständen der Eheleute lassen wir auch zu.
Wer die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt hat,
muss die Einbürgerungsurkunde persönlich ausgehändigt bekommen. Vor Corona
konnten die Leute einfach während der Sprechzeiten vorbeikommen und das konnte
in Spitzenzeiten dazu führen, dass 150 Bürger an einem Sprechtag da waren. Das
machen wir jetzt ebenfalls nur noch mit Terminvergabe. Auch hier kann die Zeit
drängen. Denn die Betroffenen können bereits aus ihrer ehemaligen
Staatsbürgerschaft entlassen sein und verfügen nicht mehr über ein gültiges
Ausweisdokument. Für ihren deutschen Personalausweis wiederum benötigen sie die
Einbürgerungsurkunde.
Trauungen sind auch eine emotionale Angelegenheit. Wie wirken sich die
Einschränkungen aus?
HARTUNG: Der Rahmen hat sich verändert. Der Handschlag
zur Gratulation ist nicht mehr möglich. Das finde ich sehr schade, denn er
gehört für mich einfach zu diesem besonderen Anlass dazu. Dann sind natürlich
die Familien und Freunde nicht mit dabei, die auch immer noch zu der
feierlichen, besonderen Atmosphäre beitragen. Hieran ändert auch die
Möglichkeit nichts, die Hochzeit mit Einverständnis des Standesbeamten zu
streamen, was übrigens auch vorher möglich war. Über die Scheibe hatten wir
bereits gesprochen.
Insgesamt wollen wir den Menschen so viel Normalität
wie möglich an diesem besonderen Tag bieten. Aber es ist natürlich etwas
anderes, wovon man sich nicht vollständig frei machen kann. Dieser feierliche
Moment hat etwas von seinem Charakter verloren, was wir natürlich auch merken.
Trotzdem bekommen wir häufig positive Rückmeldungen und den herzlichen Dank der
Paare - und das ist die größte Motivation.
Wenn Sie die Entwicklung seit Beginn der Pandemie sehen, wie ist diese
verlaufen?
HARTUNG: Insgesamt fällt auf, dass die Akzeptanz bei
den Bürgern sehr groß ist, trotz der Einschränkungen und Abläufe, die vom
bisher Gekannten abweichen. Wir hören immer wieder: „Schön, dass es doch
läuft.“
Wir haben unsere Prozesse hinterfragt und umgestaltet.
Das hat zu Anfang einen Moment der Umgewöhnung gebraucht, schließlich kam der
erste Lockdown auch für uns überraschend. Aber wir waren immer funktionsfähig
und haben unsere Arbeit gemacht. Inzwischen haben wir zusätzliches
Informationsmaterial entwickelt, um die Bürger umfassender über die neuen
Abläufe informieren zu können. So hat sich ein „neues Normal“ entwickelt.
Was wünschen Sie sich in Bezug auf Ihre Tätigkeit?
HARTUNG: Es ist gut, dass wir einen Teil der jetzt neu
entwickelten Abläufe in die Nach-Corona-Zeit mitnehmen können. Denn dadurch,
dass die Abläufe auf den Prüfstand mussten, haben sich auch effizientere
Prozesse ergeben. Für die Bürger kann es ja auch von Vorteil sein, wenn sie
sich einen Gang zum Amt sparen können. Da ich Springerin bin und alle
Standesbeamten vertrete, kann ich derzeit nur einen geringen Teil meiner Arbeit
im Home-Office erledigen, etwa zehn Prozent. Denn ich muss aufgrund rechtlicher
Vorgaben die Urkunden, die der Bürger uns zukommen lässt im Original sehen und
prüfen können. Zusätzlich ist – wie schon gesagt - das Erscheinen von Bürgern
in bestimmten Fällen unverzichtbar. Besonders Eheschließungen gehen nun mal
ohne persönlichen Kontakt nicht. In bestimmten Situationen ist es auch von
Vorteil, etwas direkt im Team klären zu können. Trotzdem wäre es wünschenswert,
mehr von zu Hause aus erledigen zu können. Denn die Fahrt zum Arbeitsplatz
stellt schon ein gewisses Risiko dar.
Die aktuelle Arbeitssituation verlangt vielen Besonderes ab. Wie lautet Ihr
Motto?
HARTUNG: Das Leben geht weiter!
Interview: Ulf Baier