"Auch wenn es keine Austrittswelle gibt, belastet der aktuelle Stillstand" – ‚Wir sind voller Hoffnung, wieder loslegen zu können‘
Wie Vereinssport unter Corona-Vorzeichen funktioniert
Harald Seehausen ist Vorstandssprecher der SG Bornheim
Grün-Weiß. Der 75-Jährige leitet das Kinder- und Familienzentrum auf dem
Sportplatz. Der Verein kümmert sich nicht nur um Fußballsport, sondern ist auch
im Quartier etwa mit Hausaufgabenbetreuung, einem Pädagogischen Mittagstisch
und Ferienbetreuung mit Flüchtlingskindern sozial aktiv. Khalid Lamjahed
trainiert Mannschaften unterschiedlicher Altersgruppen bei Union Niederrad und
ist dort Vorsitzender. Den Klub kennt der 33-Jährige seit seinen ersten Tagen
als junger Fußballspieler im Jahr 1995. Ein Gespräch mit beiden über die
Vereinsarbeit in Zeiten von Corona.
Bitte schildern Sie uns die aktuelle Lage bei Ihnen im Verein
Im klassischen Fußballbetrieb sieht es jedoch
zappenduster aus; da ist die Tür zu. Das ist gerade in der aktuellen, für viele
belastenden Situation problematisch, steigern doch Spiel, Bewegung und
Gemeinschaft die körperliche Immunität und seelische Widerstandsfähigkeit. Wir
sehen Sport daher auch immer als einen festen Teil von Bildung, wie etwa unsere
Ferienfreizeiten zeigen.
LAMJAHED: Wir vermissen den Fußball sehr. Aktuell sind
die Sportanlage und die Vereinsgaststätte geschlossen. Es wäre theoretisch
möglich gewesen, Einzeltraining anzubieten, da Indvidualsport, zwei Personen
oder ein Hausstand erlaubt sind. Dann hätten wir einzelnen Mitgliedern sagen
müssen „Du darfst“ und anderen „Du darfst nicht“. Das wäre ungerecht gewesen.
Daher haben wir ganz zu gemacht. Der Platzwart arbeitet weiter, denn es müssen
weiter Bäume geschnitten werden und andere Arbeiten fallen auch an.
Besser war es im Sommer. Nach dem Frühjahrs-Shutdown
sind mehr Menschen auf den Platz gekommen. Man merkte richtig, wie die Freude
wieder da wahr. Das ging sogar so weit, dass wir Zuschauer nach Hause schicken
mussten, weil es sonst zu viele Menschen gewesen wären. Das ging aber
unproblematisch. Jetzt belastet uns die Ungewissheit, also die Frage: Wann und
wie geht es weiter? Das ist sehr schade, weil wir uns im Sport Gedanken gemacht
haben, wie wir uns und unsere Mitmenschen schützen können. Bälle wurden auf
einmal gewaschen, beim Kopfballtraining gab es Einschränkungen, um einige
Beispiele zu nennen. Andererseits sehe ich natürlich, wie sich die
Infektionszahlen entwickeln.
Wie geht die Mitgliedschaft mit der aktuellen Situation um?
LAMJAHED: Die Leute laufen, fahren Rad und machen
Koordinationsübungen. Die Älteren vernetzen sich mit Sport-Apps untereinander
und können so ihre Werte vergleichen. Denn die Leute wollen fit sein, wenn es
wieder losgeht. Die Trainer vertrauen hier ihren Spielern. Denn alle wissen,
dass sie um die Punkte kämpfen müssen.
SEEHAUSEN: Wir haben bisher keine Austrittswelle zu
verzeichnen. Es gibt unter den 750 Mitgliedern ein hohes Maß an Verständnis
dafür, dass die Gesundheit der Kinder und natürlich auch die eigene der
Ehrenamtler vorgeht. Wir haben als familienfreundlicher Sportverein frühzeitig
eigene Hygieneregeln entwickelt, die sich streng nach den Vorgaben des
Hessischen Integrations- und Sozialministeriums, dem Frankfurter Sportamt und
Hessischen Fußball-Verband richten. Das gilt, obwohl es sicherlich auch
unterschiedliche Auffassungen zum Umgang mit der aktuellen Situation gibt. Aber
natürlich belastet der aktuelle Stillstand.
Worauf wird es in den kommenden Wochen ankommen?
SEEHAUSEN: Uns ist es wichtig, für das Ende des
Shutdowns gedanklich vorbereitet zu sein und zugleich einen „Plan B“ in der
Tasche zu haben, falls die Wartezeit noch länger dauert. Es kommt darauf an,
die Kontakte zwischen den Betreuern und Eltern aufrecht zu erhalten und die
Prozesse schon vorbereitet zu haben, um den Betrieb unter pandemie-gerechten
Bedingungen anlaufen zu lassen. Dann wird es natürlich wichtig sein, mögliche
neue Beschlüsse des Corona-Kabinettes genau zu studieren, die den
Handlungsrahmen für uns als Sportverein mit einem Familienzentrum unter
Pandemie-Bedingungen definieren. Hierzu wiederum müssen wir uns im Vorstand und
Arbeitsgruppen austauschen und das im Gespräch mit Trainern und anderen
Verantwortlichen aus Grundschulen, Kindertagesstätten und Gesundheitsamt
kommunizieren.
LAMJAHED: Zuerst einmal müssen die Infektionszahlen
sinken. Dann können wir langsam wieder anfangen, mit Einschränkungen und
Vorsichtsmaßnahmen. Hier wird es keine „Kulanzlücke“ geben, denn es ist
wichtig, die Vorgaben einzuhalten, um eine dritte Welle zu vermeiden. Das wird
für mich bedeuten, häufig auf dem Platz zu sein, um selber ein Auge auf den
Trainingsbetrieb haben zu können. Denn ich bin als Vorsitzender verantwortlich.
Zuerst fangen die großen Mannschaften wieder an, dann die kleinen. Ich denke,
der Verein wird einen Monat brauchen, bis er wieder den Normalbetrieb erreicht
hat. Insgesamt hoffe ich, dass die begonnenen Impfungen den Sportvereinen das
Leben erleichtern werden.
Wie ist die Stimmung im Verein und unter den Aktiven?
SEEHAUSEN: Nachdem es im November zu neuen Einschränkungen gekommen ist, bewegt sich die Stimmung schon auf einer vorbeugenden und realistischen Ebene. Das liegt natürlich auch an der Entwicklung der Infektionszahlen. Hinzu kommt eine Wartehaltung, in der man nicht weiß, wann es wieder los geht. Man versucht, untereinander die Kontakte aufrecht zu erhalten, was aber deutlich aufwändiger ist. Diese Gemengelage zeigt schon die Grenzen der Belastbarkeit des Systems Sportverein und Ehrenamt auf. Andererseits wollen wir uns natürlich den Herausforderungen einer verantwortungsvollen Öffnung stellen und sind vorbereitet. Große Ereignisse haben wir bereits umgeplant: Unsere Festwoche zum 75-jährigen Bestehen haben wir von 2020 auf das folgende Jahr verschoben und bereiten diese natürlich mit einem eigenen Hygienekonzept vor. Entsprechend können wir auch auf anderen Feldern agieren.
Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit der Stadt und anderen staatlichen Stellen in der Vergangenheit erlebt?
SEEHAUSEN: Unsere sozialen Projekte haben in der Vergangenheit mehr Geld gekostet als erwartet. Das liegt daran, dass alles mit mehr personellen und organisatorischen Aufwand verbunden ist. Wir mussten das Pensum an Trainerstunden, Kochleistungen und der Reinigungskräfte erhöhen. Hierfür kam eine rasche und unbürokratische Unterstützung von den Ministerien des Landes, dem Sportamt und Gesundheitsamt sowie verschiedenen Stiftungen. Unsere Erwartungen sind positiv erfüllt worden.
Kritisch muss ich allerdings anmerken, dass für die Zukunft in Frankfurt eine dezernatsübergreifende Diskussion und Perspektiven sowie Strategie zu entwickeln ist. Die Ämter denken zu sehr in ihren Zuständigkeiten. Insgesamt wünsche ich mir von allen – auch vom Land – dass wir mehr als kommunaler Bildungspartner auf Augenhöhe wahrgenommen werden. Denn ohne uns ist die gesellschaftliche Aufgabe, Gesundheit als ein Zustand von körperlichem, seelischem und sozialem Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen nicht leistbar.
LAMJAHED: Die Informationen kamen schon teilweise spät. Aber ich will das nicht als Vorwurf verstanden wissen, denn dort war man sicherlich auch von anderen abhängig. Schwierig finde ich, dass manches sehr pauschal und undifferenziert geregelt wurde. Warum hat man den Trainingsbetrieb unter Einhaltung von Abstandsregeln nicht weiter zugelassen und nur den Spielbetrieb untersagt? Auch hätte man mehr Rücksicht auf die Kinder- und Jugendarbeit nehmen können. Es ist schon etwas anderes, ob ich einer Erwachsenenmannschaft - die sich übrigens auch leichter selber anleiten kann - oder einer F-Jugend mit altersüblichem Bewegungsdrang das Training verbiete. Hier hätte ich mir mehr Differenzierung gewünscht - auch um Betreuung für die zu ermöglichen, die sie am meisten brauchen.
Interview: Ulf Baier