„Was wird dann aus dem Tier, wenn die Leute wieder arbeiten gehen“
1964 gründete eine kleine Gruppe engagierter Bürgerinnen und Bürger den
Frankfurter Tierschutzverein für Katzen. In mehr als 55 Jahren hat sich viel
getan und das Tierheim wurde Stück für Stück weiter ausgebaut. Derzeit bietet
das Katzentierheim am Oberrader Speckweg knapp 100 Katzen ein Zuhause. Ein
Gespräch mit Brigitte Maucolin, seit 1996 Vereinsmitglied und seit 2001 Leiterin
des Tierheims, und Jürgen Speckmann, Vorsitzender des Vorstands, wie sich Corona
auf ihre Arbeit auswirkt und worauf sie sich nach der Pandemie am meisten
freuen.
Wie hat sich Ihre alltägliche Arbeit im Katzenschutzverein durch die
Pandemie verändert?
SPECKMANN: Die Arbeit an sich ist noch immer wie vorher. Wir als
Tierschutzverein können ja jetzt nicht einfach dicht machen. Das einzige, wo wir
uns einschränken müssen, ist der Besucherverkehr. Seit dem 7. März 2020 haben
wir die offenen Besuchs- und Vermittlungszeiten ausgesetzt. Aktuell vereinbaren
wir nur noch Einzeltermine. Und auch die Beratung von Interessenten erfolgt
jetzt nicht mehr persönlich, sondern immer vorab per E-Mail oder Telefon. Erst
wenn dann die Voraussetzungen für eine Adoption stimmen, kommt es zu einem
persönlichen Termin hier vor Ort. Das klappt alles eigentlich ganz gut. Es gibt
natürlich immer mal wieder Interessenten, die unangemeldet vor dem Tor stehen.
Aber die verstehen dann aber auch recht schnell, dass sie nicht einfach so
reinkommen können. Normalerweise führen wir hier die Leute herum und zeigen
ihnen alles, aber das geht aktuell ja nicht.
Haben Sie denn auch Hygienemaßnahmen speziell für die Katzen ergriffen?
SPECKMANN: Nein, das brauchen wir auch nicht. Katzen sind vom
Virus nicht so gefährdet. Es gibt zwar Einzelfälle, bei denen angeblich auch
eine Katze mal das Virus bekommen hat; aber der Deutsche Tierschutzbund hat hier
Entwarnung gegeben. Die grundsätzliche Empfehlung war: genauso weiterarbeiten,
nur vorsichtiger sein und Abstände einhalten. Auch vor Corona hatten wir schon
sehr hohe Hygienestandards. Neu sind eigentlich nur die
Desinfektionsmittelspender am Eingang.
Was sind das für Kriterien, die Interessenten erfüllen müssen, um eine Katze
aufnehmen zu können?
MAUCOLIN: Erst einmal müssen wir wissen, was die Leute genau
suchen. Ob sie schon eine Katze zuhause haben oder schon einmal eine hatten. Da
wir ausschließlich Katzen für die Wohnung und keine Freigänger haben, müssen
hier auch die passenden Voraussetzungen erfüllt sein. Deswegen fragen wir auch,
ob die Katze vielleicht wegen einer Berufstätigkeit viel alleine ist. Und die
finanzielle Situation ist natürlich auch entscheidend; Haustiere kosten nun mal
Geld. Futter, Tierarzt – das muss alles mit eingeplant werden.
Wie hat sich die Pandemie auf die finanzielle Situation des Vereins
ausgewirkt?
SPECKMANN: Als Verein leben wir ausschließlich von Spenden. Und
das ist aktuell komplizierter geworden. In der letzten Zeit ist die Gesamtzahl
der Spender geringer geworden. Aber diejenigen, die uns schon lange treu
verbunden sind, haben ihre Spenden gehalten. Also insgesamt ist es etwas weniger
geworden, aber zum Glück nicht bedrohlich für uns. Auf der anderen Seite hat
sich die Zahl der Patenschaften 2020 etwas erhöht. Patenschaften können für
individuelle Katzen übernommen werden und sind im Endeffekt auch Spenden, in
Form eines monatlichen Betrags.
MAUCOLIN: Die Futter- und Materialspenden
haben letztes Jahr auch zugenommen. Das muss man sagen. Die werden von uns aber
dann direkt am Tor in Empfang genommen – aus Hygienegründen.
SPECKMANN:
Stimmt! Was uns dieses Jahr allerdings sehr fehlt, sind der Tag der offenen Tür
im August und unsere Weihnachtsfeier im Dezember. Das sind natürlich Tage, an
denen potenzielle Spender vorbeikommen und wir mit unserem Flohmarkt oder
ähnlichem zusätzliche Gelder einnehmen können. Das merkt man schon, nicht nur
finanziell.
Frau Maucolin, wie hat sich im letzten Jahr die Vermittlung der Katzen
entwickelt?
MAUCOLIN: Die sind auch etwas weniger geworden. Schätzungsweise
haben wir ungefähr 20 Prozent weniger Katzen vermittelt als 2019. Das liegt aber
nicht an der Nachfrage, denn die ist definitiv gestiegen. Wir haben aktuell aber
einfach nicht so viele Katzen da, da wegen der Pandemie auch kaum Katzen
abgegeben werden. Und wenn wir derzeit Anfragen bekommen, passt es einfach
seltener bei der Vermittlung.
Wie ist die aktuelle Situation für die Mitarbeiter? Ist die Pandemie eine
größere Belastung für ihre tägliche Arbeit?
SPECKMANN: Nein, ich denke nicht. Unsere Arbeitsabläufe, das
Füttern und die Tierpflege, sind ja nahezu komplett gleichgeblieben. Der DTB
aktualisiert regelmäßig die zu treffenden Maßnahmen und gibt Vorschläge und
Empfehlungen, die wir umsetzen müssen. Der große Vorteil bei uns ist, dass wir
viele einzelne Gehege haben, in denen aktuell immer nur eine Person arbeitet. So
halten wir das Infektionsrisiko gering.
Aktuell sind viele Leute zuhause sehr einsam, weil sie niemanden mehr
treffen dürfen und nicht mehr rausgehen. Finden Sie, dass eine solche Situation
die Anschaffung eines Haustiers, beispielsweise einer Katze, rechtfertigt?
MAUCOLIN: Das ist eine schwierige Frage. Wenn sich Leute jetzt
eine Katze anschaffen und in ein paar Monaten wieder normal arbeiten gehen, was
ist dann mit dem Tier? Wir wollen auf keinen Fall jetzt ein Tier vermitteln, das
wieder im Tierheim abgegeben wird, wenn sich alles normalisiert hat und sich die
Leute nicht mehr kümmern können. Das sind auch genau die Fragen, die wir
Interessierten aktuell stellen. Ein Tier bedeutet auch immer
Verantwortung.
Stimmen Sie privat den aktuellen Corona-Maßnahmen zu?
MAUCOLIN: Das ist noch nicht genug, würde ich
sagen.
SPECKMANN: Es müsste noch strenger sein, finde ich. Das ist wie
beim Tierschutz: Nur Vorgaben alleine helfen nicht. Die Maßnahmen müssen auch
kontrolliert und Verstöße müssen geahndet werden. Dann erst werden sie
eingehalten.
Und worauf freuen Sie sich am meisten nach der Pandemie und nach den
Maßnahmen?
SPECKMANN: In Bezug auf unsere Einrichtung freuen wir uns
natürlich darauf, wenn wir wieder öffnen und Besucher empfangen können. Dass die
Streicheldamen, die einmal die Woche vorbeikommen und Zeit mit den Katzen
verbringen, wieder vorbeikommen dürfen. Und natürlich auf den Tag der offenen
Tür im Sommer, wenn alte Freunde, Besucher und Förderer vorbeikommen und wir
hier unsere Arbeit zeigen könne. Darauf freuen wir uns. Dass wieder mehr
Kontakte möglich sind im privaten Bereich und auch hier im Verein.
Interview: Max Scharffetter
INFOBOX
Das Grundstück des Frankfurter Katzenschutzverein setzt sich aus verschiedenen Bauten und Bereichen zusammen, die auf die individuellen Anforderungen der Katzen angepasst sind. Neben den gemischten Gehegen gibt es etwa eine Mutter-mit-Kind-Station, in der die Kleinsten in geschützter Umgebung aufgezogen werden können. Und auch für die ältesten Katzen ist gesorgt: In einer eigenen Rentner-WG können die Senioren in aller Ruhe und ohne Stress in den Tag leben. 2008 erwarb der Verein zudem das angrenzende Grundstück hinter dem ursprünglichen Vereinsgelände. Das ehemalige „Wildwuchsgehege“ bauten die Tierschützer zur Großen Katzenfreiheit für unvermittelbare Katzen aus. Dieses Eldorado mit beheizbaren Gartenhäuschen und zahlreichen Versteckmöglichkeiten wurde 2011 mit dem Hessischen Tierschutzpreis ausgezeichnet. Derzeit arbeiten neben der Tierheimleiterin halbtags vier Angestellte und zwei Aushilfen. Dazu kommen aktuell insgesamt noch rund zwei Dutzend ehrenamtliche Mitarbeiter, die etwa Kontrollen bei vermittelten Katzen übernehmen oder, wie die Streicheldamen, Zeit mit den Katzen im Gehege verbringen.