„Corona nervt – aber wir lassen uns nicht unterkriegen!“
Michael Holy leitet einen schwulen Seniorenkreis, der sich wegen der Pandemie vorübergehend im Internet treffen muss.
Michael Holy (70) organisiert seit November 2009 das
Café Karussell, einen Treffpunkt für ältere schwule Männer. Alle zwei Wochen
sieht man sich im „Switchboard“, dem offenen Kneipentreff der AIDS-Hilfe
Frankfurt. Doch das geht gerade nicht, genauso wie während des ersten Lockdowns
im Frühjahr, weshalb man sich nun wieder virtuell trifft. Ein Gespräch darüber,
wie sich der „schwule Altenclub“ – so die Selbstbezeichnung – am Laufen erhält.
Herr Holy, was macht das Café Karussell genau?
HOLY: Wir treffen uns jeden ersten und dritten
Dienstag im „Switchboad“, das in der Alten Gasse liegt - also mitten in der
Frankfurter Schwulenszene und nicht in einem der Senioren-Treffpunkte. Das war
mir damals bei der Gründung sehr wichtig, um zu zeigen: Wir Älteren gehören
auch noch zur Szene. Wichtig ist mir auch, dass wir kein Kaffeeklatsch für
Senioren sind, sondern unsere Treffen immer mit kulturellen oder politischen
Inhalten verbinden, wozu es dann kurze Einführungsvorträge mit anschließender
Diskussion gibt. Daneben bleibt aber natürlich genügend Zeit, sich über
persönliche Themen auszutauschen. Durchschnittlich kommen rund 20 Leute zu den
Treffen.
Wie lief das konkret im Frühjahr ab, als das Café Karussell ins Internet
ausweichen musste?
HOLY: Als der erste Shutdown im März kam, bin ich auf
die Idee eines privaten Youtube-Kanals für dias Streaming der Beiträge
gekommen. Doch Jochen Pohlmann– ein erfahrener IT’ler, der auch bei uns
mitmacht – fand Konferenzen mit der Video-Software Webex geeigneter. Das Tool
gewährt ein vergleichsweise hohes Niveau an Datensicherheit. Das war uns sehr
wichtig, damit unsere Treffen weiterhin in einem geschützten Raum stattfinden.
Auf diese Erfahrungen, die während des ersten Shutdowns entstanden sind,
konnten wir jetzt zurückgreifen.
Die technische Umsetzung von Videokonferenzen stellt ungeübte Nutzer gerne
vor Probleme. Können Sie berichten, wie das bei Ihnen ablief?
HOLY: Das war schon ein ziemlicher Aufwand. Wir haben
zuerst einen Probechat gemacht, bevor es richtig losgegangen ist. Das meiste
konnten wir per Telefon machen, etwa dabei helfen, die Software zu installieren
und einzurichten. So läuft es im Prinzip auch, wenn jemand technische Probleme
während eines Treffens hat. Bei mir zu Hause hängt eine Telefonliste und bei
Schwierigkeiten rufe ich bzw. Jochen den Betreffenden an und helfe. Meine
berufliche Vergangenheit als IT-Berater nützt dabei sicherlich auch.
Wie sind die Erfahrungen mit den virtuellen Treffen?
HOLY: Eigentlich erstaunlich gut. Kleine Pannen gibt
es schon, etwa wenn jemand die Kamera nicht einschalten kann. Aber wir sind ja
immer als Online-Support mit dabei. Das Netz gibt uns durchaus vielfältige
Möglichkeiten, mit denen wir unsere Treffen bereichern können. Neulich gab es
einen Vortrag zu „Schwule und Oper“. Der Vortragende hat dann Ausschnitte aus
Opernarien eingespielt, was den Vortrag wunderbar aufgelockert hat. Aber es ist
schon so, dass der Spaß an den Online-Sitzungen bei manchem Teilnehmer nicht
lange hält. Es gab leider auch Weigerungen, an den Online-Treffen teilzunehmen,
auch weil manche Gäste des Café Karussell dem Internet misstrauen.
Sie haben sich währen eines Treffens mit Corona befasst. Berichten Sie uns
kurz über Ihre Eindrücke?
HOLY: Das Interesse war groß, darüber zu reden. Wir
gehören allein wegen unseres Alters alle zur Risikogruppe und bei manchen kommen
noch altersbedingte Vorerkrankungen hinzu. Es gibt ein großes Verständnis für
die Einschränkungen und jeder weiß, wie er sich zu schützen hat. Denn kaum
einer von uns sagt „Das geht schnell wieder vorbei“! Das Ausweichen auf die
virtuellen Treffen hat auch den Vorteil, dass man sich nicht mit der Frage
auseinandersetzen muss: „Will ich mich jetzt wirklich mit 20 Leuten im
‚Switchboard‘ treffen und ein Infektionsrisiko eingehen?“
Der zweite Lockdown fällt aktuell in die Zeit mit
weniger Tageslicht. Das kann schon auf die Stimmung drücken. Und wenn man dann
noch die sozialen Kontakte einschränken muss, wird es schon schwierig. Unsere
Stimmung zu dem Lockdown ist aber ganz klar: „Es nervt! Aber wir lassen uns
nicht unterkriegen!“
Interview: Ulf Baier