traffiQ-Studie: Nahverkehr mit Potenzial zur Nachfrageerholung
23.02.2021, 16:13 Uhr
Angst vor Ansteckung, Homeoffice und fehlende Freizeitaktivitäten führen zu deutlichem Fahrtenrückgang
Gute Chancen, Kunden zurückzugewinnen und Erfolge des Nahverkehrs fortzusetzen?
Die Corona-Pandemie hat das Mobilitätsverhalten der Menschen verändert, sie
sind weniger unterwegs. Eine vergleichende Studie der städtischen Frankfurter
Nahverkehrsgesellschaft traffiQ belegt diese Tatsache jetzt mit fundierten
Zahlen.
Verringerte Gesamtmobilität
„Wie zu erwarten war, belegt die Studie eine markante Verringerung der
ÖPNV-Nutzung“, stellt traffiQ-Geschäftsführer Tom Reinhold fest. „Wir sehen
aber gute Chancen, die Kunden durch Attraktivitätssteigerungen bei Bahn und
Bus, überzeugende Hygienekonzepte und konsequente Maskenkontrolle
zurückgewinnen zu können.“
„Eine deutliche Einschränkung der Mobilität – auch durch Homeoffice – und die
Angst vor Ansteckung führen dazu, dass die Zahl der zurückgelegten Wege
besonders im Nahverkehr stark zurückgehen“, erklärt Prof. Andreas Krämer,
dessen Firma exeo Strategic Consulting die Befragung durchgeführt hat. Mehr als
die Hälfte der Befragten gibt an, den Nahverkehr im Vergleich zum Vorjahr
grundsätzlich weniger genutzt zu haben. „Unsere repräsentative Online-Befragung
zeigt, dass es in der Pandemie klare Gewinner und Verlierer unter den
Mobilitätsformen gibt.“ Ermittelt wurde die Nutzung der Verkehrsmittel jeweils
für September 2019 („vor Corona“) und September 2020 („mit Corona“).
Die Gesamtmobilität der Befragten nahm insgesamt deutlich ab. Beim öffentlichen
Personennahverkehr (S-Bahn, U-Bahn, Straßenbahn und Bus) betrug der Rückgang je
nach Verkehrsart zwischen 22 (Bus) und 30 Prozentpunkte (S-Bahn), beim Pkw
(Selbst- oder Mitfahrer) sieben sowie acht Prozentpunkte.
Nahverkehr verliert, Pkw gewinnt
Im Verhältnis der Verkehrsmittel zueinander ist feststellbar, dass
besonders S-Bahnen und U-Bahnen (zusammen -16 Prozentpunkte) als
Hauptverkehrsmittel verlieren, während der Pkw (+10 Prozentpunkte), zu Fuß
gehen (+5) und Fahrradfahren (+4) zulegen.
Es sind vor allem fehlende Wegeanlässe und die Angst vor Ansteckung, die zu
einer verringerten ÖPNV-Nutzung führen. 54 Prozent der Befragten geben an,
seltener mit Bus und Bahn zu fahren. Als wesentliche Gründe für die
Fahrtenreduktion nennen sie den Entfall von Fahrtanlässen (Beruf, Freizeit,
Einkauf) und allgemein die Auswirkungen der Corona-Pandemie (beispielsweise
Angst vor Ansteckung, zu volle Busse und Bahnen oder dass die notwendige
Hygiene nicht gewährleistet werden kann).
Corona als dominierendes Nutzungshemmnis
„Corona wird damit zum dominierenden Nutzungshemmnis für den ÖPNV“, macht
Krämer deutlich. „62 Prozent der Befragten, die erwogen hatten, Bus und Bahn zu
nutzen, sich aber letztlich dagegen entschieden haben, nennen die Pandemie als
Grund für die Nichtnutzung. Dieser Aspekt ist deutlich führend vor anderen,
normalerweise dominierenden Themen wie Fahrtangebot, Preis oder
Zuverlässigkeit.“
Während ein großer Teil der Befragten den Nahverkehr unverändert häufig nutzt,
sind es vor allem die Käufer von Einzelkarten aus Frankfurt und die
Zeitkartennutzer aus dem Umland, die weniger mit Bus und Bahn in Frankfurt
fahren. „Der Rückgang der ÖPNV-Fahrten in Frankfurt auf etwa 68 Prozent des Vorjahreswertes
(September 2019) kann zu einem großen Teil auf diese beiden Nutzergruppen (-10
sowie -9 Prozentpunkte) zurückgeführt werden, auf die etwa zwei Drittel der
verlorenen gegangenen Fahrten entfallen“, erklärt Reinhold.
Homeoffice führt zu Fahrtenrückgang
Ein weiterer Schwerpunkt der Studie lag in der Messung der Bedeutung von
Homeoffice sowie der damit einhergehenden veränderten ÖPNV-Nutzung. Während bei
denjenigen, die ihren Beruf wie bisher ausüben, die Anzahl der Fahrten „nur“ um
22 Prozent zurückging, sind dies bei Personen im Homeoffice oder in Kurzarbeit
beachtliche 46 Prozent. Viele der Berufstätigen (22 Prozent) gehen dabei davon
aus, dass für sie persönlich Homeoffice zukünftig zunehmen wird, besonders die
Zeitkartennutzer teilen diese Einschätzung (Zunahme: 25 Prozent, Abnahme 9
Prozent).
Auf die Frage, wie sich ihre Nutzung des Nahverkehrs im Vergleich zu Zeiten vor
Corona verändert, wenn Impfstoffe zur Verfügung stehen, antworteten 66 Prozent
der Befragten mit „unverändert“, 19 Prozent mit „geringer“ und 15 Prozent mit
„mehr“. Im Saldo ergibt sich ein Minus von vier Prozent.
Höhere Attraktivität, um Fahrgäste zurückzugewinnen
Die alles überlagernde Frage für traffiQ ist, ob sich nach Beendigung der
Pandemie wieder Nachfrage-Niveaus wie vor der Krise erreichen lassen. Drei
Faktoren dürften eine wesentliche Rolle spielen:
• Wird der durch die Corona-Krise ausgelöste Popularitätsschub beim Pkw, aber
auch beim Fahrrad und beim Zu-Fuß-Gehen nachhaltig sein?
• Bleibt die während der Pandemie, zumindest in einzelnen Kundensegmenten,
„eingeübte“ reduzierte Mobilität über die Krise hinaus bestehen?
• Welche Folgen hat die weitere Entwicklung der Tätigkeit im Homeoffice für die
Mobilität im Stadtgebiet?
„In der Gesamtschau werden sich ‚bleibende Auswirkungen‘ der Pandemie auf die
Fahrgastzahlen im Nahverkehr nicht ausschließen lassen“, fasst Reinhold
zusammen. „Wenn die Angst vor Ansteckung mit Corona nicht mehr gegeben ist,
werden wir aber verlorene Fahrten teilweise zurückgewinnen können. Wir werden
daher verstärkt an der Attraktivitätssteigerung von Bahn und Bus arbeiten
müssen. Langfristig stehen die Chancen gut, dass sich der Erfolgstrend des
umweltfreundlichen öffentlichen Nahverkehrs fortsetzt.“
Über die Studie
Um Erkenntnisse über die Veränderungen der ÖPNV-Nutzung im Stadtgebiet
Frankfurt durch die Corona-Krise zu gewinnen, hatte traffiQ im Oktober 2020
eine Befragung in Auftrag gegeben. Die Befragung wurde so konzipiert, dass sie
mit den Ergebnissen einer bereits im März 2020 unmittelbar vor Ausbruch der
Krise erfolgten Befragung in Beziehung gesetzt und verglichen werden konnte.
Beide Befragungen (jeweils circa 1000 Personen ab 18 Jahre) basierten auf
repräsentativen Stichproben aus der Grundgesamtheit von Personen mit Mobilität
im Stadtgebiet Frankfurt – das heißt im Unterschied zu anderen
Mobilitäts-Erhebungen, die zumeist auf dem Einwohnerprinzip beruhen, wurden
sowohl Personen mit Wohnsitz in Frankfurt als auch Personen mit Wohnsitz
außerhalb von Frankfurt (Abgrenzung Umkreis von circa 50 Kilometer), die Wege
von und nach sowie innerhalb Frankfurts zurückgelegt hatten, befragt. Beide
Studien wurden als repräsentative Online-Befragung von exeo Strategic
Consulting durchgeführt.
Ausführliche Informationen
Ausführlich dokumentiert sind die Ergebnisse der Studien in einem Beitrag, der soeben in der Fachzeitschrift „Der Nahverkehr“ erschienen ist. Zu finden ist er unter https://www.traffiq.de/fileadmin/user_upload/pdfs/Fachartikel/2021_traffiQ_Auswirkungen-Corona-OEPNV-Frankfurt_DNV_2021-01-02.pdfExternal Link im Internet.Grafiken zur Verdeutlichung finden sich in der beigefügten PDF-Datei.