Zum Yom HaShoah setzt Frankfurt ein klares Zeichen gegen Antisemitismus
07.04.2021, 11:59 Uhr
Stadt übernimmt IHRA-Definition offiziell in ihr Handeln
„Wir unterstreichen unser Engagement
für jüdisches Leben und gegen jede Form des Antisemitismus und übernehmen zum
Internationalen Holocaust-Gedenktag, dem Yom HaShoah, die Arbeitsdefinition
Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ganz
offiziell in unser städtisches Handeln“, erklärte Bürgermeister und
Kirchendezernent Uwe Becker am Mittwoch, 7. April.
Auf Antrag Beckers hat der Magistrat die IHRA-Definition offiziell angenommen,
um noch gezielter und effektiver gegen die verschiedenen Formen des
Antisemitismus in Frankfurt am Main vorgehen zu können.
„Dies ist ein wichtiges Signal und eine starke Selbstverpflichtung. Unsere
Stadt fühlt sich gerade auch aufgrund ihrer großen jüdischen Tradition in
besonderem Maße den hier lebenden Jüdinnen und Juden verbunden. Jüdisches Leben
war, ist und wird immer ein wichtiger Teil der Identität des gesellschaftlichen
Lebens von Frankfurt sein. Leider sehen wir jedoch auch in unserem Land, dass
rund 76 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz der Antisemitismus zunimmt und
zunehmend das gesellschaftliche Klima vergiftet. Wir alle müssen uns für
jüdisches Leben und gegen Antisemitismus in unserer Stadt engagieren, denn er
ist das Gift, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstört“, erklärte
Bürgermeister Becker.
„Die IHRA-Definition schafft einen Rahmen, der überall auf der Welt den
Menschen als Kompass im Umgang mit Antisemitismus dient und Judenhass in seiner
gesamten Breite umschließt. Judenfeindlichkeit traut sich leider zunehmend aus
den Hinterzimmern unserer Gesellschaft wieder offen in die Mitte unserer
Gesellschaft, wo genau jene Mitte Gefahr läuft, durch eine gefährliche
Gewöhnung an mehr oder weniger subtile Formen antisemitischer Stereotype dabei
zuzusehen, wie sich die gesellschaftlichen Grenzlinien verschieben. Wenn eine
Partei Einzug in den Bundestag nimmt, die offen für eine Wende in der
Erinnerungskultur um 180 Grad eintritt, wenn Preise an Künstler verliehen
werden, die mit antisemitischen Stereotypen Rekordverkaufszahlen erreichen,
wenn der Begriff ,Jude‘ wieder als Schimpfwort gebraucht wird, dann bedarf es
nicht jener noch schlimmeren Angriffe auf Jüdinnen und Juden, um festzustellen,
dass wir nicht mehr darüber sprechen müssen, wie wir den Anfängen wehren,
sondern wie wir dem sich ausbreitenden Antisemitismus entschiedener entgegentreten.
Und dies ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft, denn Antisemitismus
betrifft nicht alleine oder zuvorderst die Jüdische Gemeinschaft, er betrifft
die gesamte Gesellschaft, weil er das Gift ist, welches das Fundament des
gesellschaftlichen Miteinanders zerstört. Deshalb muss das Engagement gegen
Judenfeindlichkeit auch zuvorderst von jenen kommen, die nicht ohnehin selbst
Opfer oder Ziel von Antisemitismus sind. Die Buntheit und Vielfalt des
Antisemitismus reicht heute vom rechtsradikalen Mob über den intellektuell
verpackten Antizionismus, der den Umweg über die sogenannte Israelkritik wählt
und dennoch beim Antisemitismus ankommt, bis zum kulturell importierten
Judenhass. Wenn der Antisemitismus nicht in Springerstiefeln daherkommt,
erkennen ihn viele nicht, wer hinschaut, kann ihn jedoch erkennen und ist
aufgefordert, zu handeln. Dies trifft auf den Staat genauso zu, wie auf
Vereine, Verbände, Kirchen, Gewerkschaften und jede und jeden einzelnen“,
führte Bürgermeister Becker weiter aus.
Die IHRA-Definition besitzt folgenden Wortlaut:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass
gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder
Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum
sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.
Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv
verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Zum Hintergrund:
Die International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) wurde 2000 als
internationale Organisation gegründet, um die Erinnerung an den Holocaust
wachzuhalten und Holocaust-Erziehung weltweit zu fördern. Sie besteht aus 34
Mitgliedsstaaten. Die Arbeit der IHRA wird durch ein Exekutiv-Sekretariat mit
Sitz in Berlin unterstützt. Der Vorsitz der IHRA wechselt jährlich; seit März
2020 hat Deutschland den Vorsitz inne. Um noch gezielter gegen die
verschiedenen Formen des Antisemitismus in Hessen vorgehen zu können, hatte
sich zunächst die Bundesregierung und im vergangenen Herbst auch die Hessische
Landesregierung der „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der Internationalen
Allianz für Holocaust Gedenken (IHRA) angeschlossen und diese für ihr eigenes
Handeln übernommen. Der Magistrat empfiehlt die Berücksichtigung der
Arbeitsdefinition insbesondere in der Schul-, Aus- und Erwachsenenbildung sowie
bei der städtischen Ausbildung sowie in den Beteiligungsunternahmen der Stadt.
Gleichzeitig empfiehlt der Magistrat die Berücksichtigung der Arbeitsdefinition
Antisemitismus auch den in Frankfurt tätigen Verbänden, Organisationen und
Vereinen in ihrer Arbeit.