Gesellschaftskritik auf der Höhe der Zeit
24.01.2023, 15:30 Uhr
Frankfurter Institut für Sozialforschung feiert 100-jähriges Jubiläum mit Festakt
Am Montag, 23. Januar, jährte sich der Erlass des
preußischen Kultusministers zur „Errichtung eines Instituts für Sozialforschung
an der Universität Frankfurt als einer wissenschaftlichen Anstalt, die zugleich
Lehrzwecken der Universität dient“, zum hundertsten Mal. Zu diesem Anlass hat
das Institut für Sozialforschung (IfS) im Rahmen seines 100-jährigen Jubiläums
zu einem presseöffentlichen Festakt eingeladen. Anwesend waren unter anderem
Vertreterinnen und Vertreter der hessischen Landesregierung, der Stadt
Frankfurt, der Goethe-Universität sowie von zahlreichen akademischen wie
zivilgesellschaftlichen Institutionen und Organisationen.
Der Direktor des IfS, Prof. Stephan Lessenich, verwies in seinem Redebeitrag
auf die gegenwärtig stattfindende Entwicklung eines neuen Forschungsprogramms.
Für die kritische Gegenwartsanalyse im Lichte einhundertjähriger Bemühungen um
eine Gesellschaftskritik auf der Höhe der Zeit gelte es „mit dem
konzeptionellen Fundus der Kritischen Theorie zu operieren, ohne seiner
historischen Schwerkraft zu erliegen; mit der Dynamik der neuen Zeit zu gehen,
ohne die kritische Distanz zu ihr zu verlieren. Die Tradition kritischer
Theoriebildung und Sozialforschung verändernd fortschreiben: Das ist die ebenso
erfüllende wie herausfordernde Aufgabe, vor die sich das IfS im Jahre 2023
gestellt sieht. Wie wollen wir an diese Aufgabe herangehen? In dem Bewusstsein,
dass wir das Rad nicht neu erfinden werden, aber eben auch nicht müssen; dass
es heute ums Ganze geht, um das Ganze der Gesellschaft und die Zukunft der Menschheit;
dass die wissenschaftliche Ergründung des Ganzen, seiner Bewegung, seiner
Widersprüche, seiner Grenzen, seiner Überwindung, nicht anders bewältigt werden
kann als in einem kollektiven, kooperativen, kollegialen Arbeitszusammenhang.“
Zu seinem 100-jährigen Bestehen hat Wissenschaftsministerin Angela Dorn die
wichtige Rolle des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt für eine
lebendige Demokratie hervorgehoben: „Das IfS steht seit Horkheimer, Benjamin
und Adorno in einer philosophischen Tradition, die sich nicht damit begnügt,
die Welt verschieden zu interpretieren, sondern sie auch verändern will. Es
begann als Forschungsstätte zur Theorie und Geschichte des Sozialismus und der
Arbeiterbewegung mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, der es um
die Aufdeckung von Unrecht, um Emanzipation und Veränderung ging. Nach den
Verbrechen des Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg eröffnete es 1951 wieder;
der Zivilisationsbruch wurde zum Forschungsgegenstand. Die Kritische Theorie
hat seit dem Anfang des IfS an Relevanz und Bedeutung nichts verloren. Wir
brauchen dringend solche Einrichtungen. Um diese wichtige Rolle zu stärken,
haben wir die Förderung des Landes von 2021 an gern von rund 620.000 auf
nunmehr gut 870.600 Euro im Jahr erhöht.“
Kulturdezernentin Ina Hartwig betonte in ihrer Rede die enge Verbindung von IfS
und der Stadt Frankfurt: „Ich gratuliere dem Institut für Sozialforschung von
Herzen zu seinem runden Geburtstag. Seit seiner Gründung strahlt es weit über
die Grenzen Frankfurt hinaus und gilt national wie international als
bedeutender Ort kritischer Gesellschaftstheorie und Sozialforschung. Das
Institut für Sozialforschung hat – zuletzt mit dem langjährigen Direktor Axel
Honneth, nun mit Stephan Lessenich an der Spitze – in den vergangenen 100
Jahren seine gesellschaftskritischen Positionen und eine empirische
Forschungspraxis stets beibehalten. Zu sehen ist in den Veranstaltungen heute
eine noch stärkere Öffnung des Hauses. Ein Ort nicht nur für Wissenschaftler
und Studierende, sondern auch für Künstler und Kulturschaffende, für die
Stadtgesellschaft. Ich bin mir sicher, dass das Institut für Sozialforschung
auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten eine ‚Frankfurter Schule‘ im
besten Sinne bleiben wird!“ Die Stadt Frankfurt unterstützt das IfS mit rund
356.000 Euro jährlich.
Der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt, Prof. Enrico Schleiff,
gratulierte in seinem Grußwort dem Institut für Sozialforschung herzlich zum
100. Geburtstag: „Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule ist eine der
wissenschaftlichen Visitenkarten Frankfurts, die trotz der immer kürzer
werdenden Halbwertszeit von wissenschaftlichen Erkenntnissen und
wissenschaftlichen Reputationen nach wie vor auch international glänzt.“ Das
Institut für Sozialforschung, fuhr Schleiff fort, habe sich der aktiven
Gestaltung der Gesellschaft durch wissenschaftliche Erkenntnisse auf höchstem
Niveau verschrieben. Und diesem Anspruch sehe sich auch die Goethe-Universität
verpflichtet. Schon jetzt seien die Beziehungen zwischen Universität und
Institut eng, kooperiere man seit Anfang an auf vielfältigen Ebenen
miteinander. Schleiff wünschte sich abschließend vom IfS: „Erforschen Sie in
der Tradition der Kritischen Theorie Überraschungen, Verunsicherungen,
Herausforderungen, damit eine unter wissenschaftlichen Vorzeichen stehende
‚politische Aufklärung‘ gelingt!“