Die Frankfurter Cannabis-Studie
05.09.2023, 15:31 Uhr
Drogenreferat veröffentlicht Ergebnisse einer repräsentativen Befragung der Frankfurter Bevölkerung zum Thema Cannabis
Hintergrund
für die Befragung sind die von der Bundesregierung geplanten weitreichenden
Änderungen in Bezug auf den Umgang mit Cannabis zum Freizeitkonsum. Im
Eckpunktepapier der Bundesregierung vom April ist als erster Schritt eine
Entkriminalisierung vorgesehen. Eigenanbau und die Mitgliedschaft in
Anbauvereinen sollen ermöglicht werden. Dafür liegt mittlerweile ein erster
Gesetzentwurf vor. Der zweite Schritt sieht die modellhafte Erprobung einer
kommerziellen Lieferkette für Genusscannabis in ausgewählten Regionen vor. Die
Stadt Frankfurt hat bereits angekündigt, sich gemeinsam mit der Stadt Offenbach
als Modellregion zu bewerben.
„Viele Fragen zur Ausgestaltung der Neuregelungen sind noch offen“, betont Dr.
Artur Schroers, der Leiter des Drogenreferats. „Doch unabhängig von der
konkreten Umsetzung werden sich die kommenden Veränderungen auf eine Großstadt
wie Frankfurt am Main auswirken. Deswegen war es uns wichtig, belastbare Daten
über die Einstellungen, Erwartungen und Bedarfe der Stadtbevölkerung rund um
das Thema Cannabis zu erhalten.“
Eigentlich sollte die Studie bereits im Juni veröffentlicht werden. Aufgrund
eines Manipulationsversuchs der Studienergebnisse verzögerte sich der Termin.
350 sehr aufwändig gefälschte Fragebögen waren in ebenfalls gefälschten
Rückumschlägen an das auswertende Institut für interdisziplinäre Sucht- und
Drogenforschung (ISD) in Hamburg geschickt worden. Durch eine umfangreiche
Überprüfung aller eingegangenen Fragebögen konnten alle Fälschungen
zweifelsfrei aufgespürt und aus dem Datensatz entfernt werden.
Hohe Zustimmungswerte zu einer Legalisierung
10.000 zufällig ausgewählte Erwachsene in Frankfurt wurden angeschrieben. Es
gab die Möglichkeit zur postalischen Beantwortung und zu einer
Online-Teilnahme. Die Netto-Rücklaufquote betrug 27,3 Prozent. Das ist für eine
postalische Befragung dieser Art ein guter Wert. Schroers freut sich darüber:
„Das Thema Cannabis stößt in der Stadtbevölkerung offensichtlich auf großes
Interesse.“
Die Frankfurterinnen und Frankfurter sprechen sich mehrheitlich für eine
Legalisierung von Cannabis aus: 65,8 Prozent der Befragten befürworten
uneingeschränkt oder eher die kontrollierte Abgabe von Cannabis zu
Genusszwecken an Erwachsene. Dies gilt etwas mehr für Männer (70,6 Prozent) als
für Frauen (60,5 Prozent). Die Zustimmung steigt zudem mit der Höhe der
Bildungsabschlüsse. Die Befragten ohne Schulabschluss oder mit einem
Hauptschulabschluss sprechen sich zu 56,1 Prozent eher oder absolut für die
Legalisierung aus, Befragte mit Mittlerer Reife zu 62,2 Prozent und Befragte
mit (Fach-)Abitur zu 70,1 Prozent. Starke Unterschiede werden auch beim Alter
sichtbar: Tendenziell ist die Zustimmung unter den jüngeren Befragten stärker
ausgeprägt: Während bei den 25- bis 34-Jährigen ungefähr drei von vier
Befragten (78,2 Prozent) einer Legalisierung absolut oder eher zustimmen, sind
es bei den 65- bis 79-Jährigen nur etwas mehr als die Hälfte (52,1 Prozent).
Hilfesystem stößt auf hohe Akzeptanz, aber auf geringe Bekanntheit
Von großer Bedeutung sind für Schroers die Einschätzungen der Befragten zum
Hilfesystem. 87,6 Prozent der Befragten würden einer Person aus ihrem Freundes-
oder Familienkreis mit problematischem Cannabiskonsum sicher oder
wahrscheinlich empfehlen, Hilfe-Einrichtungen aufzusuchen. Und sogar 92,9
Prozent würden bei problematischem Cannabiskonsum sicher oder wahrscheinlich
Drogen- und Suchtberatungsstellen für sich in Anspruch nehmen oder einer
anderen Person empfehlen. Schroers schließt daraus: „Die Frankfurter
Bürgerinnen und Bürger vertrauen dem vorhandenen Hilfesystem und insbesondere
den Drogen- und Suchtberatungsstellen.“
Der hohen Akzeptanz des Hilfesystems steht allerdings die geringe Bekanntheit
gegenüber: Mehr als die Hälfte der Befragten (54,9 Prozent) wissen ganz sicher
oder wahrscheinlich nicht, wo sie für sich oder andere Personen Hilfe bei einem
problematischen Cannabiskonsum in Frankfurt bekommen könnten. Das betrifft vor
allem Personen mit geringer formaler Bildung: Zwei von drei Befragten (63,8
Prozent) ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulabschluss geben an, ganz sicher
oder wahrscheinlich nicht zu wissen, wo sie sich bei einem problematischen
Cannabiskonsum in Frankfurt hinwenden könnten. Für den Leiter des
Drogenreferats ergibt sich daraus: „Der Bekanntheitsgrad der Hilfsangebote muss
verbessert werden.“
Interessanterweise geben auch fast zwei von drei Personen (63,6 Prozent) an,
sicher oder wahrscheinlich eine Beratung in einer Cannabis-Verkaufsstelle als
Informationsmöglichkeit in Anspruch nehmen zu wollen, wenn es zu einer
Legalisierung kommt. Noch mehr sind es bei den besonders betroffenen Gruppen,
wie den Personen mit Cannabiskonsum in den letzten 30 Tagen, den jungen
Erwachsenen bis 25 Jahren und den Personen, die im Falle einer Legalisierung
erstmals oder zum ersten Mal nach langer Zeit Cannabis konsumieren würden. Für
Schroers unterstreichen diese Daten die hohen Anforderungen, die an
Abgabestellen bezüglich Vernetzung mit dem Drogen- und Suchthilfesystem und
Qualifikation der Mitarbeiterschaft zu richten wären.
Prävention und Jugendschutz sind wichtig, ebenso die Bedarfe der
Konsumierenden
„Mir ist die Beachtung von Prävention und Jugendschutz sehr wichtig“, erklärt
Schroers. „Ich bin froh, dass ich damit in Frankfurt offensichtlich nicht
alleine bin.“ Eine deutliche Mehrheit von 91,3 Prozent der Befragten hält
schulische Prävention über die Risiken des Cannabiskonsums ab Klassenstufe 7
für sehr oder eher sinnvoll, wenn Cannabis legalisiert wird. Fast genauso hoch
ist der Anteil (91 Prozent) der Personen, die sich Fortbildungen für
Hausärztinnen und Hausärzte wünschen. Und eine sehr große Mehrheit setzt sich
auch dafür ein, dass Cannabis nur an Volljährige abgegeben werden darf: 90,6
Prozent stimmen diesem Regelungsvorschlag absolut oder eher zu.
Zahlreiche Ziele einer Legalisierung, wie die Zurückdrängung des Schwarzmarkts
oder eine Reduzierung von Gesundheitsschäden durch verunreinigtes Cannabis,
lassen sich nur erreichen, wenn Konsumentinnen und Konsumenten, die Cannabis
bisher illegal beziehen, für einen dann legalen Markt gewonnen
werden. Viele Details der bisherigen Überlegungen, insbesondere Eigenanbau,
Cannabis Social Clubs und spezialisierte Cannabis-Verkaufsstellen, stoßen bei
dieser Personengruppe auf hohe Zustimmungswerte. Zu einer THC-Obergrenze äußert
sich hingegen eine Mehrheit (53,9 Prozent) mit Cannabis-Konsum in den letzten
30 Tagen (absolut oder eher) ablehnend. Schroers schließt daraus: „Eine
pauschale THC-Obergrenze erscheint vor dem Hintergrund dieser Überlegungen
nicht sinnvoll.“
Kein massiver Anstieg des Cannabis-Konsums zu erwarten
Eine häufig geäußerte Sorge in Bezug auf eine Cannabis-Legalisierung bezieht
sich auf eine daraus resultierende massive Zunahme des Konsums
(„Dammbruch-Szenario“). Die hier vorliegenden Daten legen einen solch
dramatischen Anstieg nicht nahe. Drei von vier Befragten würden an ihrem
bisherigen Konsumverhalten nichts ändern: 61 Prozent geben an, auch nach einer
Legalisierung weiterhin nicht Cannabis konsumieren zu wollen. 11,7 Prozent
würden ihren bisherigen Cannabiskonsum beibehalten. 13,5 Prozent können noch
nicht einschätzen, ob sie ihr Verhalten ändern werden. Fast genauso viele
Befragte würden Cannabis erstmalig (3,6 Prozent) oder nach einer langen Zeit
ohne Konsum wieder (8,2 Prozent) nehmen. 1,4 Prozent der Befragten geben die
Einschätzung ab, mehr Cannabis als bisher zu konsumieren. Immerhin 0,6 Prozent
denken, es wird weniger. Diese Selbsteinschätzung der Frankfurter Bevölkerung
deckt sich mit empirischen Daten aus Ländern, die bereits Erfahrungen mit einer
Cannabis-Legalisierung gesammelt haben. Übersichtsarbeiten legen für den
US-amerikanischen und kanadischen Raum einen eher moderaten Anstieg des Konsums
unter Erwachsenen nahe.
Für den Leiter des Drogenreferats ist es wichtig, auch die positiven
Auswirkungen von Entkriminalisierung und Legalisierung in den Blick zu nehmen.
Vor allem bereits Konsumierende wären von einer Reihe von Verbesserungen
betroffen, ist er überzeugt: „Sie müssen keine Strafverfolgung mehr fürchten.
Durch qualitätsgesicherte Produkte sind sie weniger gesundheitlichen Risiken
ausgesetzt. Und sie treten nicht mehr zwangsläufig in Kontakt mit dem
Schwarzmarkt.“
Schroers erhofft sich von einer Legalisierung zudem eine Enttabuisierung des
Themas: „Dadurch kann über Cannabis offener und ehrlicher kommuniziert werden.
Dies wird sich sowohl für die Prävention bei jungen Menschen als auch für den
Gesundheitsschutz als hilfreich erweisen.“
Der vollständige Abschlussbericht sowie eine Kurzfassung davon stehen auf der
Homepage des Drogenreferats unter drogenreferat.stadt-frankfurt.deInternal Link zum Download zur Verfügung und sind zudem dieser
Meldung beigefügt.
Rückfragen beantwortet das Drogenreferat unter Telefon 069/212-30124Internal Link.